Sex and Violence in Ehrenfeld
Boring Suburbia 3
»Wo ist er? Wo ist das Schwein?«, rief Zombie durch die im Dämmerlicht der Strassenlaternen nur schwach erhellten Räumlichkeiten.
»Wer?«, fragte Paul und hob langsam den Kopf.
»Der Clown, wer sonst?«
»Doch nicht etwa wegen Siggi?«
«Wasn sonst?«, kam es zurück, als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre. »Wo ist er? Den reiß ich aus seinem Sack!«
Zombie, wie fast immer völlig besoffen, stand hinter Pauls Schlafplatz in der Tür.
»Der Clown hat sich beim Andreas in der Bude breitgemacht«, sagte Bohne, der sich mit seiner Freundin Tanja die dreckige Couch neben Pauls Schlafgelegenheit teilte. Seine Stimme klang seltsam gedämpft, und Tanjas unterdrücktes Stöhnen war auch nicht zu überhören; so verzichtete Paul auf eine Erwiderung.
Inzwischen war Siggis Freund Ingo hinzugekommen, offensichtlich ebenfalls auf der Suche nach Clown. Zombie hielt ihn zurück: »Bleib hier! Ich mach das alleine, dann kann niemand behaupten, daß du ihn angefasst hättest.«
Nicht schon wieder, dachte Paul. Zombie bastelte sich mal wieder eine Rechtfertigung, jemanden aus Spaß zu verprügeln.
»Was soll er denn überhaupt getan haben?«, fragte jemand aus dem Halbdunkel.
»Der Clown? Ja, das ist ein Schwein hoch dreiundreißig!«, erwiderte Zombie. Er schwankte.
Das Stimmengewirr aus dem Nebenzimmer ließ erkennen, dass Zombies Aktion auch die dort Schlafenden inzwischen geweckt hatte. In dieser Aprilnacht schliefen ungewöhnlich viele junge Leute im sogenannten »Weißen Haus« in der besetzten ehemaligen Mauserfabrik in Köln Ehrenfeld. Punks aus der Nachbarstadt Düsseldorf und der eine oder andere abgängige Jugendliche waren heute angekommen.
Das Krachen und Knacken von splitterndem Holz übertönte das vielstimmige Gemurmel.
»Na, wen haaaben wir denn da?« Zombies Stimme ließ eine geradezu sadistische Vorfreude erkennen. Er hatte sein Opfer gefunden.
Paul war inzwischen klar, dass er einem ziemlich peinlichen Eifersuchtsdrama beiwohnte. Alles was man den Normalos, den Spießern, immer vorwarf, brach sich nun hier unter den Punks mit brachialer Gewalt Bahn. Dass Zombie hier stellvertretend für den gehörnten Ingo handelte, war jetzt auch schon egal. Es hatte sich angestaut, jetzt musste es halt raus.
»Komm hoch du Sau!«, forderte Zombie .
Geschrei unterbrach Pauls Gedanken. Dann war nur noch eine Reihe von dicht aufeinanderfolgenden dumpfen Schlägen zu hören.
»Hör auf, der hat genug!«, rief jemand aus dem Dunkel.
«Nein, ich schlag ihn tot!«, erwiderte Zombie.
Wieder ein Schrei. »Scheiße! Ich hab die Wand getroffen!«
Ein höhnisches Lachen schlug ihm von unten entgegen.
»Was, du Drecksack lachst?«
Das war nicht sehr klug von Clown gewesen, verriet er Zombie doch so die Position seines Kopfes. Den hatte er in seinem Suff bisher meist verfehlt.
Bun schlug er ein- zweimal zu, dann war von einer Sekunde auf die andere alles still.
Ein wenig später schob Zombie seine ein Meter fünfundachtzig durch die Tür, in der Hand eine Taschenlampe, die einen nebeligen Lichtkegel in den Raum warf.
Er trug seine übliche speckige nietenbeschlagene Lederweste über einem Wollpullover und stank wie der Ausguss einer Schnapsfabrik.
Während Tanja ihm seine blutende Hand mit dem dreckigen Etwas verband, das wohl mal eine sterile Mullbinde gewesen war, fragte Paul ihn nach dem Grund für die ganze Aktion.
Die Geschichte, die Zombie erzählte, brachte ein wenig Licht ins Dunkel: Siggi hatte es schon vor Tagen so arrangiert, dass sie mit Clown scheinbar unauffällig zusammenkommen konnte. Dummerweise auf einer Couch im Wohnzimmer der Wohnung, in der sie vorher alle zusammen gefeiert hatten. Als Ingo dann nachts aufs Klo musste, hat er die Beiden inflagranti erwischt. Ein Klassiker!
»Idiotisch!«, bemerkte Bohne. Der Punk aus Leverkusen schob seinen Kopf wieder zwischen Tanjas Schenkel.
Zombie bat Paul ihm noch eine Zigarette zu »wenden«, wie er zu sagen pflegte und machte sich wieder auf den Weg, bereit für eine neue Runde.
Bald war ein Krachen zu vernehmen, dann Zombie Stimme: »Clohown … rühr dich nicht … beweg dich nicht … atme nicht … sonst werd ich dich fihinden!«
Er imitierte die Killerstimmen aus den Horrorvideos, die er regelmässig schaute. Fast zu überzeugend, dachte Paul.
Offenbar fand Zombie sein Opfer diesmal nicht. Stattdessen liess er sich von Anwesenden in ein Gespräch verwickeln. Soweit das mit so wenig Blut im Alkohol denn möglich war.
»Er war kein Gegner, er war ein Opfer. Ein Opfer!, erklang Zombies mittlerweile entspannter wirkende Stimme aus dem Nebenraum.
Irgendwer erzählte ständig aufs Neue von zwei Paketen Tabak, die seine Mutter ihm geschenkt und die man ihm nun gestohlen habe.
»Als ob er sie dadurch wieder bekäme - nur Bekloppte!«, dachte sich Paul und hoffte noch ein wenig Schlaf zu finden, bevor die Sonne aufging.
