Mad Max
Boring Suburbia (Zwischenspiel 1)
Paul ging eineinhalb Schritte hinter Max, auch Mad Max genannt, dem Skinhead und ehemaligen Punk. Max’ rote Dr.Martens Stiefel und Pauls schwarze, ordentlich polierte BW Kampfstiefel klatschten im Gleichschritt auf das Pflaster.
Max klebte Spuckis der FAP an Laternenmasten, die Paul umgehend wieder abriss. Währenddessen führten sie eine normale Unterhaltung, als wären die Spuckis nicht Teil ihrer Wirklichkeit .
Es war Nacht und sie waren fast allein auf der Straße. Kneipen hatten nur noch vereinzelt auf, alle paar Minuten kam ein einzelnes Auto die Straße entlang. Inzwischen zog sich eine über einhundert Meter lange Spur zerknüllter Fascho-Spuckis hinter ihnen her. Max wusste, dass Paul sie abreißen musste, das stellte er niemals in Frage, allerdings schien er einen endlosen Vorrat davon in seiner Tasche zu haben.
Es war nicht das erste mal, dass sie sich mitten in der Nacht, wenn keine Bahn mehr fuhr, in der Stadt zufällig trafen. Beide auf dem Weg nach irgendwohin. Keiner mochte dem Anderen sein Ziel verraten oder sagen, woher er gerade kam. Das war seltsamer Konsens bei ihren Begegnungen.
Wo Paul politisch stand, ließ sich nicht in einem eindimensionalen Koordinatensystem darstellen. Er wusste aber genau, dass er Autoritäten ablehnte. Ob diese von links, rechts, oder anderswoher kamen, war Paul einerlei - Punkrock eben.
Mad Max war … nun, Max war auch einmal Punk gewesen, einer der ersten mit einem kurzen Iro in der Stadt, gefärbt wie eine bunte Zuckerstange.
Zur Zeit trug er Glatze und beantwortete Fragen nach seiner politischen Einstellung, mit dem Satz, er sei »Volkstreuer Sozialist«.
Jemand anderem hätte Paul in einem solchen Fall viellecht in die Fresse geschlagen. Hier nahm er es hin. Das hier war eine andere Realität, eine Begegnung in der Zwielichtzone.
Max beklagte sich bei Paul über das bundesdeutsche Bildungssystem. Einerseits, ermöglichte es ihm auf Staatskosten nachträglich das Abitur zu erlangen.
Auf der anderen Seite hatte es nicht zugelassen, dass Max beim ersten Anlauf auf dem Gymnasium verblieb und gleichzeitig im Geschichtsunterricht die Auschwitzlüge verbreitete. Danach hatte der Holocaust nie stattgefunden.
Er erzählte vom Ärger den er mit seine Eltern bekommen hatte, als jemand seiner alten Bekannten mal wieder die heimische Telefonnummer weitergegeben hatte. Das führte regelmässig zu Anrufen folgender Art: »Heil Hitler, Frau X! Ich hätte gerne ihren Sohn gesprochen!“ Die Eltern, eher liberale Akademiker, sahen sich schließlich genötigt, ihrem Sohn anzuraten, sich eine eigene Wohnung zu suchen.
Paul hörte zu, wie er es sonst eher selten tat, und unterbrach nur, um nachzuhaken.
Die Einblicke, die Max in seine Persönlichkeit und die rechte Szene gab, waren interessant. Er mochte die Dinge, die er erfuhr, vorerst nicht moralisch bewerten, das würde nur den Blick auf die Fakten trüben. Er wusste nicht genau, warum er das tat, es war einfach spannend.
Mitten in der Nacht in der menschenleeren Stadt, allein im Gespräch mit dem Feind.
