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Punksplitter

1982: An den Haaren herbeigezogen

Gelas Erinnerungen (11)

von

Am 11. Mai war dann die Gerichtsverhandlung wegen der Anklage des schweren Landfriedensbruchs gegen Natascha und mich. Uns wurde vorgeworfen, nach Abschluß einer Kundgebung der »Aktionseinheit für El Salvador« am 14. März 1981 in Hannover gegen 13.25 Uhr mit Steinen zwei Schaufensterscheiben des Modehauses Magis eingeworfen zu haben; aus einer Gruppe von etwa 10 Personen heraus, wodurch ein Gesamtschaden von 10.000 DM entstand. Unsere Anwälte hatten uns ja keine Hoffnung gemacht, da heil herauszukommen. Es kam dann aber doch ganz anders als erwartet.

Zuerst wurde der Zivi, der uns verhaftet hatte, als Zeuge vernommen. Ich zitiere aus dem Protokoll: »Einziger unmittelbarer Tatzeuge war der Zeuge KHM Krumbein. Sein Augenmerk sei insbesondere auf Personen gerichtet gewesen, die offensichtlich der Punker-Szene zuzurechnen gewesen seien. Bereits während des Vorbeizuges der Demonstranten seien ihm mehrere Personen aufgefallen, die er der Punker-Szene zugerechnet habe. Er habe sodann beobachten können, daß 4 Personen aus dieser Gruppe heraus, 2 männliche und 2 weibliche Personen, durch Steine die Scheiben der Glasvitrine eingeworfen hätten. Unmittelbar, nachdem diese Personen die Scheiben eingeworfen hätten, seien sie geflohen. Er habe sofort die Verfolgung dieser Personen aufgenommen. Während der Flucht habe sich eine der weiblichen Personen (er meinte mich) nach ihm umgeschaut. Zwar habe er nicht die Gesichtszüge der Angeklagten zu erkennen vermocht, jedoch habe er die Angeklagte an ihren auffallend schwarzen Haaren identifizieren können.« – HAH!!

An dieser Stelle der Aussage tippte ich meinen Verteidiger an und zeigte auf das Foto, das kurz nach der Festnahme von mir zusammen mit dem Zivilbullen gemacht wurde. Darauf hatte ich rote Haare. Mein Anwalt legte sofort Einspruch ein und zeigte dem Richter das Bild. Daraufhin verlor der Zeuge Krumbein seine Glaubwürdigkeit, und nachdem dann noch ein zweiter Zeuge des Geschehens, der Hausmeister der Firma Magis, eine gänzlich andere Version erzählte, war es dann ganz vorbei.

Natascha und ich wurden freigesprochen. U.a. mit folgender Begründung: »Es widerspricht einfach der Lebenserfahrung, daß ein Zeuge zunächst meint, eine Person an auffallend schwarzen Haaren erkannt zu haben, während er im Anschluß daran einräumen muß, diese Person habe während des Vorfalls rote Haare gehabt. Insbesondere von Punker-Kreisen ist bekannt, daß das Einfärben in eine rote Haarfarbe in einer solchen Weise geschieht, daß diese Haarfarbe in ihrer Auffälligkeit nicht nur herausragt, sondern geradezu herausragen soll. Insoweit war nach Auffassung des Gerichts nicht auszuschließen, daß der Zeuge Krumbein bezüglich der Angeklagten nicht nur bezüglich der Haarfarbe, sondern insbesondere auch bezüglich der Person überhaupt geirrt hat. Zwar meint das Gericht, daß der Zeuge Krumbein bei seiner Aussage subjektiv die Wahrheit gesagt hat, jedoch war die Art und Weise, wie der Zeuge Krumbein einen Irrtum bezüglich der Personen der beiden Angeklagten ausschloß, für das Gericht nach Vorliegen dieser in sich widersprüchlichen Aussage nicht nachvollziehbar. Nach alledem mußten beide Angeklagten freigesprochen werden.«

Wir waren froh. Kein Knast, keine Geldstrafe. Wir feierten den Freispruch in der »Korn«.

Durch die Aussage des Zivis bestätigte sich wieder einmal die Tatsache, daß wir als Punks immer speziell unter Beobachtung standen. Man wußte uns nicht einzuschätzen und traute uns alles zu. Das Resultat daraus war dann auch die Punker-Kartei. Es reichte schon, Punk zu sein, um verdächtig zu erscheinen. Sei es nun der Staatsanwalt des Prozesses, der meinte, daß Punks sowieso Straftaten begingen und darum verurteilt gehörten, einfach nur weil sie Punks waren, oder Normalbürger, die sich das Recht herausnahmen, uns auf der Straße zu beschimpfen. Mehr als einmal mussten wir flüchten, weil irgendwelche Idioten plötzlich aus einem Auto sprangen, »Scheißpunker!« brüllten und uns verprügeln wollten. Es gehörte zum Alltag. Bis zum heutigen Tage stellt sich bei mir ein leichtes Unbehagen ein, wenn jemand Punks als »Punker« bezeichnet. Nennt man aber einen einzelnen Punk dann auch noch einen »Punker«, wird mir endgültig schlecht.

Nach dem ganzen Streß brauchte ich erst einmal Urlaub. Kirsten und ich beschlossen, nach Italien zu fahren. Wir wollten einen richtig faulen Urlaub machen: Am Strand herumliegen und uns von der Sonne bescheinen lassen, kein Stress und keine Hektik!

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