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Punksplitter

1981: Im falschen Film

Gelas Erinnerungen (9)

von

Da ich ja jetzt im Kneipenkollektiv des UJZ mitarbeitete, war der Weg zu politischen Aktivitäten nicht weit. Früher, als ich noch in der Nähe von Peine wohnte, nahm ich an Anti-Vietnamkrieg-Demos teil und engagierte mich im Chile-Komitee. Seit ich in Hannover lebte, war die einzige Demonstration, bei der ich dabei war, die Anti-Atommüll-Gorleben Demo. Natürlich war ich immer noch gegen Ungerechtigkeit auf der Welt, hatte aber genug damit zu tun, meine eigene Existenz auf die Reihe zu bekommen. Meine Bewerbungsunterlagen für einen Studienplatz an der Fachhochschule waren mir zurückgesandt worden, weil ich vergessen hatte, irgendeine Bestätigung beizufügen. Nun hatte ich überhaupt keinen Plan mehr.

Als eine Demo gegen die Zustände in El Salvador stattfand (ehrlich gesagt, wußte ich nicht so genau, was in diesem Land eigentlich los war), lief ich mit. Und weil bloßes Mitlaufen noch nie sinnvoll war, passierte dann auch glatt folgendes:

In der Innenstadt flogen Steine und eine große Glasvitrine zerbarst. Das alles geschah genau vor mir, und ich wußte vor Schreck erst einmal nicht, was ich tun sollte. Ich entschloß mich dann doch für Flucht und rannte eine Seitenstraße hinunter und in ein Kaufhaus hinein. Dort traf ich Natascha, die auch dorthin geflüchtet war. Nach einiger Zeit verließen wir das Kaufhaus und wollten gerade den Bahnhofsvorplatz überqueren, als mich jemand von hinten am Kragen packte. Bevor ich überhaupt mitbekam was los war, fand ich mich in einem Auto wieder. Neben mir wurde Natascha ebenfalls auf den Rücksitz befördert. Wir waren verhaftet worden und man fuhr uns zum Revier.

Dort angekommen, mußten wir mit anderen Demonstranten, aufgereiht an einer Wand, warten. Nach und nach fotografierte man jeden zusammen mit dem ihn festgenommenen Zivilbullen, und anschließend wurde man in eine Einzelzelle gesperrt. Das war meine erste Inhaftierung. Das Innere der Zelle sah aus wie aus dem Mittelalter, und es kam mir alles vor, als wäre ich im falschen Film. Nach ziemlich langer Zeit holte man mich da wieder heraus und ich erfuhr, daß ich nun eine Anklage wegen schweren Landesfriedensbruchs erhalten sollte. Natascha, ich und noch zwei andere hätten die Scheibe bei Magis gemeinschaftlich eingeworfen, so wurde mir gesagt. Der Zivi, der mich verhaftete, beobachtete uns angeblich dabei. Dann durfte ich gehen. Ich wußte ja, daß ich keinen Stein geworfen hatte und war total wütend. »Sollte ich deshalb verurteilt werden«, so dachte ich, »dann geh ich hin und werfe die Scheibe tatsächlich ein.« Bis zur Verhandlung sollte es noch über ein Jahr dauern.

Um unabhängig zu sein, verdiente ich in der Zeit mein Geld mit verschiedenen Aushilfsjobs. Der allererste war 1979 in einer Marzipanfabrik. Wir wechselten alle zwei Stunden den Arbeitsplatz und konnten soviel Marzipan essen wie wir wollten. Irgendwann mochte man nicht mehr. Danach kam noch ein ähnlicher Job bei »Sprengel«, einer als Briefträger, dann bei einer Krankenkasse Rentner aussortieren. 1980 arbeitete ich bei einer Holzhandlung als Telefonistin. Der Job wurde mir vom Arbeitsamt vorgeschlagen. Ich hasste Telefonieren, und beim Vorstellungsgespräch sagte ich das auch. Der Chef lachte nur darüber und meinte: »Kein Problem. Das schaffen sie schon.« Somit hatte ich den Job. Am ersten Tag hätte ich beinah verschlafen, war total verkatert und sah wüst aus. Zu allem Überfluß hatte mir mein damaliger Freund ein total hartes, vertrocknetes Brötchen eingepackt. In der Pause packte ich es dann auch nichtsahnend aus. Es machte ein sehr lautes Geräusch, als ich hineinbiß und fiel krümelnd auseinander. Alle neuen Kollegen sahen mich an. Danach waren sie aber sehr nett zu mir und als ich mich an das Telefonieren gewöhnt hatte, machte der Job sogar Spaß. Später arbeiteten Lena und ich eine Zeit lang bei einem Zeitungsverlag. Dort bekamen wir die »Sounds« und andere Zeitschriften günstiger.

Ein totaler Horrorjob war dann Ende 1980 in einer Krankenhausküche. Ich mußte riesige Kochkessel ausschrubben und große Kellen abwaschen. Ich fühlte mich wie ein Zwerg in einer Riesenküche. Bis auf eine Frau waren alle Köchinnen und der Chef Arschlöcher. Es herrschte die totale Hierarchie. Und ich war ganz unten. Zu dieser Zeit hatte ich manchmal großen Hunger, aber es war streng verboten, das übriggebliebene Essen mitzunehmen. Es landete im Schweineeimer. Jedes hartgekochte Ei, in der Schürzentasche rausgeschmuggelt, war ein Risiko.

Ab jetzt gab es nur noch wirkliche Scheißjobs. Schickte mich die Jobvermittlung wieder zu einem Aushilfsjob, den ich nicht haben wollte, pinnte ich mir einen Badge mit »Atomkraft nein Danke« an, und das Bewerbungsgespräch war gelaufen. Der Typ vom Personalbüro starrte nur noch darauf und schimpfte los. Den Job bekam ich natürlich nicht, was auch meine Absicht war. Weil ich aber doch Geld zum Leben brauchte, beantragte ich nun Arbeitslosenhilfe.

Ende 1981 lernte ich nach einem Konzert in Bremen einen Holländer kennen. Der fragte mich, ob ich in Hannover etwas für eine Amsterdamer Punkband organisieren könne. Ich hatte ihm erzählt, daß ich im UJZ mitarbeitete. Ich gab ihm meine Adresse. Bald darauf erhielt ich einen Brief von Piet aus Amsterdam. Er wollte gern mit seiner und einer befreundeten Band in Hannover spielen. Ich machte daraufhin einen Auftritt für Februar ’82 im UJZ klar.

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