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Punksplitter
Auftritt von ROSA beim NoFun-Festival im UJZ Glocksee, Hannover im März 1980. Auf Knien Alice Dee. Ganz links oben am Bildrand: Rosa (icke) mit Bass, mein Fuß im Puma-Turnschuh (Foto: Heinrich Dubel)

1980: Weggestiefelt

Rosa – Erinnerungen an den jungen Punk (4)

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Es ist nicht immer fun and games, unübersehbar und in provokatorischer Absicht den Außenseiter zu geben, und Toleranz war keine besonders ausgeprägte Eigenschaft eines letztlich gnadenlosen kleinbürgerlichen Milieus, als das ich das ganze Hannover eigentlich noch immer sehe. An einem schönen Samstagabend – ich war soeben mit dem Zug von einer Gartenparty im Umland zurückgekommen, hatte mich am Hauptbahnhof »unterm Schwanz« (16) mit Alice Dee getroffen, dem Sänger meiner Band ROSA, wir schlenderten über die Georgstraße hin zum Steintorimbiss, um uns für die anstehende Punknacht zu stärken – kam es zur ultimativen Konfrontation mit diesem Milieu, zu dem ich nicht mehr gehörte.

Drei bereits gut angesoffene Buffer, wie ich sie aus meiner Zeit an der Straßenecke kannte, folgten uns. Nachdem sie sich einige Minuten warmgepöbelt und uns Bierflaschen nachgeworfen hatten, ging es auch schon los – footchase. Ich schaffte es noch bis zur Mitte der Nordmannpassage, wo ich nach kurzer Gegenwehr umstandslos und ultrabrutal eingestiefelt wurde. Das Letzte, an das ich mich erinnere, bevor ich mit schweren Schädel- und inneren Verletzungen wieder zu mir kam, waren messingbeschlagene Stiefeletten, die mir ins Gesicht traten. (17)

Als ich nach Monaten aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte sich Einiges getan, interessanterweise auf dem Gebiet der Inneneinrichtung. Bärbel, der Schlagzeuger von Blitzkrieg, hatte es irgendwie geschafft, sich in eine Wohnung einzumieten. Als Raumschmuck nähte er – mit der Hand – eine Hakenkreuzfahne, so groß wie die größte Wand in der Wohnung. Den Stoff hatte er bei Karstadt geklaut. Das Hakenkreuz hatte keinen einzigen rechten Winkel, nicht mal der weiße Kreis war regelmäßig rund. Auf diese monströse Fahne heftete er Fahndungsplakate mit den RAF-Aktivisten drauf, die er aus Polizeistationen holte. Wenn sie ihm keines geben wollten, stahl er das, was im Flur hing. Das Ziel, das Zimmer bis unter die Decke mit leeren Bierdosen zu füllen, wurde nicht erreicht. Nach einem Wochenende, das er alleine und auf LSD dort verbrachte, wurde die Wohnung durch den Vermieter zügig geräumt.

Das Hakenkreuz war ein Thema in der Szene. Was für die englischen Punks zutreffen mochte, dass sie nämlich letztlich nur eine sehr verschwommene Ahnung hatten, um was für ein Zeichen es sich handelte (18), traf sicher nicht auf die deutschen Punks zu, besonders nicht auf die politisch bewussteren. Wer damit hantierte, wusste im Allgemeinen, was er tat, wenn auch nicht immer warum oder wozu.

Bei einer Silvesterparty im Bremer Schlachthof, zu der ein Haufen Punks aus ganz Norddeutschland und auch einige Berliner gefahren waren, trat eine Band aus Hamburg auf, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere. Es war eine allgemeine Idioten-Crew. Der Sänger machte auf Sid Vicious, samt schwarzer Lederjacke, Hakenkreuz-T-Shirt und Halskette mit Vorhängeschloss. Den Berlinern in ihrem geschärften links-anarchistischen Bewusstsein war das aus politischen Gründen unerträglich, unserem hannoverschen Kontingent aus modischen Gründen. Konnte es ein lächerlicheres Posertum geben, als sich eins-zu-eins wie Sid Vicious anzuziehen? Der absurdeste Freak des Abends war ein afrodeutscher Hamburger, der – wie sich später herausstellte – ganz gerne ein Nazi gewesen wäre und der – weil er bei Kühnen selbstverständlich nicht mitmachen durfte – eine eigene Schlägertruppe namens Savage Army (SA) gegründet hatte. Es kam zum Streit und im Anschluss an das Konzert der Band, das sich diese, unterstützt von ihren zahlreich angereisten und extrem aggressiven Fans, vom Veranstalter erpresst hatte, zu etlichen Schlägereien. »Alder, das is' Punk, da verstehste nix von!« wurde ein geflügeltes Wort für uns.

In dieser Nacht machte ich eine Beobachtung, die mein späteres Leben nachhaltiger beeinflussen sollte als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. Ich sah einem Typen dabei zu, wie er sich – betrunken hin- und herschwankend – mühsam mit einer Hand an einer Laterne festhielt und auf seine Schuhe kotzte. Blitzartig erkannte ich: es kam auf die Haltung an, und weniger auf die Klamotten. Und: niemals auf die eigenen Schuhe kotzen.

Zwei Wochen später war ich in Berlin.

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